Albrecht Dürer |
Albrecht Dürer (1471-1528) kam zugute, dass er in der Renaissance, also in einer Zeit lebte, in der die meisten Fortschritte der Mathematik von Laien, d.h. zum Beispiel von Kaufleuten, Seefahrern, Ärzten, Juristen, Malern, erbracht wurden und die Mathematik sich in einem solchen Zustand befand, in dem es möglich war, solche Beiträge ohne ein vorhergehendes professionelles Studium zu leisten. Dürer hat in seinen späteren Lebensjahren zwei Bücher geschrieben: Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt... (Nürnberg 1525, posthum erweiterte 2. Ausgabe 1538) und Vier bücher von menschlicher proportion (Nürnberg 1528), die aus heutiger Sicht zu den bedeutendsten deutschen mathematischen Texten des 16. Jahrhunderts gehören. Seitdem das ausgehende 19. Jahrhundert den Geometer Dürer neu entdeckt hatte, ist die Literatur über seine wissenschaftlichen Leistungen zu Bergen angeschwollen - und dennoch, dem jeweiligen Geist ihrer Entstehungszeit entsprechend häufig einseitig geblieben. Einige neuere Literatur über Dürer ist im Literaturverzeichnis angegeben. Sie kann als Einstieg in das umfangreiche weitere Schrifttum dienen. Hier seien nur die wichtigsten Felder seiner geometrischen Interessen und Beiträge aufgezählt:
Geradezu symbolisch für Dürers inniges Verhältnis zur Mathematik ist sein Kupferstich Melencolia I (1514), der auch der Titelseite dieser virtuellen Ausstellung zugrunde liegt und um dessen Deutung allein sich eine umfangreiche Fachliteratur entwickelt hat. Einig sind sich alle, dass der in tiefes Nachdenken versunkene Engel eine allegorische Darstellung jener Stimmung ist, in die man bei langem und möglicherweise vergeblichem Suchen nach der Lösung eines mathematischen Problems gerät - und die Dürer selbst nur allzugut gekannt haben dürfte. Auch die übrigen Bestandteile des Kupferstiches (das magische Quadrat an der Wand, die Zeichengeräte, die deutlich zentralperspektive Anlage des Bildes) - verweisen auf die Mathematik. Der auf den ersten Blick etwas rätselhafte Polyeder entstand aus einem auf die Spitze gestellten Würfel, indem dieser zunächst in senkrechter Richtung zu einem Rhomboeder verzerrt wurde und dann die untere und die obere Ecke so abgeschnitten wurden, dass der Körper wieder eine Umkugel bekommt. Wir haben schon im Kapitel über Polyeder darauf hingewiesen, wie wichtig den Renaissancekünstlern und besonders Dürer diese Eigenschaft von Polyedern war.
![]() Albrecht Dürer ![]() Exakte Konstruktion stilistisch einheitlicher Alphabete ![]() Dürers Melancholia In der Abbildung oben rechts zeigen wir einen kleinen Ausschnitt aus den Anweisungen in Dürers Underweysung, regelmäßige n-Ecke mit Zirkel und Lineal entweder exakt oder mit großer näherungsweiser Genauigkeit zu konstruieren, insbesondere in denjenigen Fällen wie n = 7 oder 9, von denen man heute beweisen kann, dass theoretisch exakte Konstruktion mit Zirkel und Lineal unmöglich ist. Einige dieser Konstruktionen stammen aus der Antike, deren geometrisches Erbe Dürer sich, so gut es ihm möglich war, selbst erschloss. Einige stammen aus der Praxis der mittelalterlichen Bauhütten, während die eigenartige Konstruktion des regulären 9-Ecks eventuell seine eigene Erfindung ist. In jedem Fall hat er klar zwischen demonstrative, also exakter, und mechanice, d.h. annähernd genauer Lösung unterschieden und die Konstruktionsanweisungen präzise formuliert. Auch die von ihm angegebene näherungsweise Dreiteilung eines beliebigen Kreisbogens wurde von den Mathematikhistorikern schon im 19. Jahrhundert wegen ihrer konkurrenzlosen Genauigkeit gerühmt. Links zu Dürer und seinen Werken siehe Kapitel Links. |